Coronapandemie, Krieg, Umweltkatastrophen: Kinder und Jugendliche leiden unter den weiter anhaltenden Krisen seelisch ganz besonders. Deshalb ist es wichtig, dass sie in der Schule auch lernen, wie sie mit Krisen und Problemen umgehen können. Denn das beugt psychischen Erkrankungen vor. Drei Projekte zeigen, wie das geht.
Es steht nicht gut um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Schon vor der Coronakrise waren etwa 20 Prozent psychisch krank und litten an Depressionen, Panik- und Angst störungen oder auch Essstörungen. Nach der Pandemie und den damit einhergegangenen Schulschließungen sowie durch anhaltende Krisen wie Klimawandel, Krieg und Inflation sind es mittlerweile sogar 30 Prozent. Deshalb wird das Thema an Schulen immer wichtiger.
Resilienz fördern, Krisen meistern
Schule sollte nicht nur Wissen vermitteln, sondern den Schülerinnen und Schülern auch beibringen, wie sie mit Krisen, Stress oder Misserfolg umgehen können. Junge Menschen sollten erleben, dass sie etwas bewirken können. Denn nur so werden sie psychisch stark. Man nennt das auch „resilient“. Resilienz bezeichnet die psychische Kraft von Menschen, mit schwierigen Situationen und Lebensereignissen umzugehen. Wer resilient ist, meistert zum Beispiel Krisen besser und ist weniger anfällig für Erkrankungen, die aus Angst und Stress entstehen können. Resilienz ist erlernbar. Schon seit langem gibt es Projekte, die Themen rund um psychische Gesundheit und Resilienz in die Schulen bringen und mit Schülerschaft und Lehrkräften arbeiten.
Irrsinnig Menschlich – über seelische Krisen sprechen
Seit mittlerweile 23 Jahren bringt der Verein Irrsinnig Menschlich aus Leipzig das Thema psychische Gesundheit in die Schulen. Manuela Richter-Werling ist Gründerin und eine von zwei Geschäftsführerinnen. „Die meisten psychischen Erkrankungen haben ihren Ursprung in der Kindheit und Jugendzeit“, sagt sie und findet es deshalb sinnvoll, das Thema schon in der Schule zu behandeln. „Dort erreichen wir noch alle jungen Menschen.“ Irrsinnig Menschlich bietet Workshops für verschiedene Altersklassen an. Das Grundprinzip ist es, keine monotonen Vorträge zu halten, sondern die schwierigen Themen möglichst leicht zu verpacken.
In der Sekundarstufe verbringt das Team zum Beispiel einen ganzen Tag in einer Klasse. Mit dabei ist immer eine junge Fachkraft, die als Sozialpädagogin, als Sozialarbeiter, Psychologin oder Therapeut arbeitet und eine eigene Erfahrung mit psychischer Erkrankung hat. „Zuerst laden wir die jungen Leute ein, über die großen und kleinen Fragen zu sprechen, die sie zu psychischer Gesundheit haben“, sagt Manuela Richter-Werling. Da geht es um psychische Erkrankungen und die Erfahrungen damit, um mögliche Hilfen oder auch darum, wie man bemerken kann, wenn es jemandem seelisch nicht gut geht. „Wir knüpfen an die Lebenserfahrungen der Jugendlichen an“, sagt Richter-Werling, die immer wieder erfreut ist, wie offen und interessiert diese sind. Danach geht es in die Gruppenarbeit, dort beschäftigen sich die jungen Leute mit verschiedenen Fragen, je nachdem, was in der Klasse gerade anliegt. Im dritten Teil berichtet die junge Fachkraft von der eigenen psychischen Erkrankung und beantwortet Fragen. Am Ende bekommen alle ein Informationsblatt, wo sie in ihrer Umgebung Hilfe finden können.
Was lernen die Jugendlichen an diesem Tag? „Dass es gut ist, mit vertrauten Menschen über seelische Probleme zu sprechen“, sagt Manuela Richter-Werling, „dass es keine Schande ist, wenn man seelisch erkrankt und dass auch niemand schuld ist.“ Denn gerade Jugendliche hätten große Angst, stigmatisiert und ausgegrenzt zu werden. „Wir sagen: Du musst dich nicht schämen, es geht ganz vielen so. Es ist gut, darüber zu sprechen und Hilfe zu suchen.“
Frau Richter-Werling, was ist das Hauptanliegen von Irrsinnig Menschlich an einem Tag in der Sekundarstufe?
Was setzen Sie der Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen entgegen?
Wie nehmen Sie die Jugendlichen in Ihren Workshops wahr?
Warum ist es wichtig, Themen zur psychischen Gesundheit schon in der Schule zu behandeln?
Stärke fürs Leben – innere Stärke durch Ruhe und Gelassenheit
„Ich bin, wie ich bin, und genau das ist meine Stärke“ – das ist das Motto der Resilienzkurse für Kinder von Simone Staiger und Alexandra Fischer aus Waiblingen bei Stuttgart. Mit ihrem Unternehmen „Stärke fürs Leben" bieten sie die Kurse an Kindergärten und Grundschulen an. „Die Kinder stehen unter großem Stress, müssen viel Druck und das hohe Tempo des Alltags aushalten“, sagt Simone Staiger. Die starke Handynutzung potenziere das noch. „Permanent prasseln Reize auf sie ein, positiv sowie negativ. Sie können nicht mehr entspannen.“
Im Kurs für die Grundschule geht es vor allem um alltägliche Situationen, die bei den Kindern Stress auslösen: Jemand nimmt ihre Sachen weg, droht ihnen Gewalt an, beleidigt oder provoziert sie. Alexandra Fischer und Simone Staiger spielen solche Situationen mit den Kindern durch und analysieren sie: Was macht der Stress mit meinem Körper? Wie fühlt sich das an? Warum ist das andere Kind gemein zu mir? Wie kann ich am besten reagieren? Die Kinder lernen so ihre eigenen Gefühle kennen und suchen gemeinsam nach Lösungen.
„Vor allem geben wir ihnen Strategien und Methoden mit, sodass sie in einer stressigen Situation nicht impulsiv, sondern gelassen reagieren“, sagt Alexandra Fischer. „Wir zeigen ihnen auch Atemtechniken, mit denen sie runterfahren können. Denn wenn jemand gemein zu mir ist, kann ich diese Person gerade nicht ändern, sondern nur versuchen, selbst anders zu reagieren.“
Auch die Eltern werden mit einbezogen. „Viele von ihnen wollen immer die Probleme ihrer Kinder lösen“, sagt Simone Staiger. „Wir finden aber: Je schneller das Kind lernt, Konflikte allein zu lösen, desto selbstständiger und selbstwirksamer wird es und geht gestärkt ins Leben.“
Frau Staiger, was ist ein wichtiger Faktor für Resilienz bei Kindern?
Frau Fischer, was ist der Kern der Workshops von Stärke fürs Leben?
MindMatters – gute gesunde Schule
Das Programm MindMatters wurde in Australien entwickelt, um die psychische Gesundheit an Schulen zu fördern. Seit 2003 existiert es auch auf Deutsch und wird an der Leuphana Universität Lüneburg wissenschaftlich betreut und ausgewertet. Es ist – im Gegensatz zu den anderen Projekten – für die ganze Schule konzipiert: für alle Klassenstufen, Schulformen und Berufsgruppen, die an einer Schule arbeiten.
Es besteht aus zehn Modulen: drei für die allgemeine Schulentwicklung und sieben für die Arbeit mit den Kindern oder Jugendlichen. Sie heißen zum Beispiel „Gemeinsam(es) Lernen mit Gefühl“, „Mobbing? – Nicht in unserer Schule!“, „Freunde finden, behalten und dazugehören“ oder „Rückgrat für die Seele“. Das Modul „Rückgrat für die Seele“ thematisiert Verlust und Trauer, ein Thema, das angesichts der vielen geflüchteten Kinder und Jugendlichen, die jetzt eine deutsche Schule besuchen, sehr aktuell ist. Die Module bestehen aus einzelnen Einheiten, welche die Lehrkräfte in ihrem Unterricht oder in Extrastunden einsetzen. Auch hier geht es darum, wie die Schülerinnen und Schüler mit Belastungen, Stress oder Konflikten umgehen können und dass sie sich mit psychischen Erkrankungen und den gängigen Vorurteilen dazu auseinandersetzen. Sie arbeiten viel in Gruppen: Sie denken zusammen über bestimmte Fragen nach, tauschen sich aus, reflektieren eigene Verhaltensweisen und hören, was andere vorschlagen.
1.000 bis 1.200 Schulen lassen sich das Material pro Jahr zuschicken, berichtet Peter Paulus, wissenschaftlicher Leiter des Programmes. „Wie viele es tatsächlich anwenden, wissen wir leider nicht.“ Natürlich sei es erst einmal zusätzliche Arbeit für die Lehrkräfte. „Man muss schon für das Thema offen sein“, sagt Paulus. „Aber es tut ihnen selbst ja auch gut, weil ihr Unterricht besser wird.“ Es gibt auch extra Einheiten für die Lehrkräfte. „Zum Beispiel für das oft „verhasste“ Fach Mathematik“, so Pauls. „Wir helfen der Lehrkraft, ihren Unterricht so zu verändern, dass er die Kinder nicht enttäuscht zurücklässt, sondern ihnen Erfolgserlebnisse verschafft, sodass sie in eine positive Stimmung kommen und sich selbst etwas zutrauen.“
Herr Paulus, wie würden Sie die momentane Verfassung der Kinder und Jugendlichen in Deutschland beschreiben?
Selbst wenn Lehrkräfte nur ein Thema behandelten, habe das bereits positive Effekte. „Denn dieses eine Thema ist oft der Einstieg in das Feld der psychischen Gesundheit und stößt das Interesse der Lehrkräfte an.“ Aus Rückmeldungen weiß Peter Paulus: In Schulen, die das Programm einsetzen, verbessert sich das Lernklima und das Befinden aller.