Die 17-jährige Turnerin Nadine Jarosch kämpft für ihren größten Traum: Die Olympiateilnahme im Sommer in London. Gleichzeitig steckt sie mitten in den Abiturvorbereitungen. Mit uns spricht sie im Interview über Doppelbelastungen, Ehrgeiz und Liebesfanpost.
Meine Schwester ist früher zum Turntraining gegangen und ich wollte das auch ausprobieren. Das war vor zwölf Jahren. Turnen hat mir von Anfang an gut gefallen, also habe ich weitergemacht. Meine Schwester macht jetzt Badminton, ich turne immer noch. Gerade trainiere ich für die Olympischen Spiele in London.
Aus dem Hobby ist also ernsthafter Leistungssport geworden?
Ja, mit acht Jahren habe ich mich entschieden, immer mehr zu turnen. Erst einmal in der Woche, dann zweimal, dreimal. Für das Training bin ich bis nach Detmold gefahren, weil es dort ein Turnleistungszentrum gibt. Vor sechs Jahren habe ich mich mein ganzes Leben dorthin verlagert und die Schule gewechselt. Ich wohne jetzt zwar immer noch zuhause, fahre aber jeden Tag nach Detmold.
Wie schaffst du die Doppelbelastung Schule und Sport?
Ich gehe in die 11. Klasse eines Gymnasiums. Bis zu den Osterferien habe ich den ganzen Unterricht besucht, außer Sport. Und die neunte Stunde ist für mich auch immer weggefallen. Das hat eigentlich auch ganz gut geklappt. Jetzt muss ich aber mehr für Olympia trainieren. Meine Schule hat mir vorgeschlagen, bis zur Olympiade gar nicht mehr in die Schule zu gehen und danach Nachprüfungen zu machen. Das wollte ich aber nicht. Ein ganzes Jahr raus zu sein, ist blöd. Deswegen mache ich jetzt nur noch meine Leistungskurse und die Fremdsprachen weiter. Dafür konzentriere ich mich mehr auf das Training. Natürlich ist es manchmal eine doppelte Belastung für mich. Aber ich möchte beides schaffen: Abi und Olympia.
Und nach dem Unterricht gehst du sofort zum Training?
Ja, manchmal sogar noch vor der Schule. Ich trainiere vier Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche. Meistens bin ich abends erst um acht zuhause. Manchmal muss ich dann noch Hausaufgaben machen.
Unterstützen dich deine Lehrer auch?
Ich gehe auf eine
sportbetonte Schule. Die wollen mir keine Steine in den Weg legen, weil sie natürlich
stolz auf mich sind. Meine Lehrer helfen mir sehr. Wenn ich Probleme habe, muss ich es nur sagen. Ich bekomme zum Beispiel von den Lehrern extra
Nachhilfestunden, wenn ich
hinterherhinke.
Gibt es auch Tage, an denen dir alles zu viel wird?
Klar. Dann sitze ich zuhause und denke mir: Oh Gott, wie schaffst du das bloß alles? Soviel Freizeit wie andere Leute habe ich nicht, eigentlich nur am Samstagnachmittag und am Sonntag. Da gehe ich dann auch mal ins Kino oder in die Stadt. Ich versuche, mein Bestes in der Schule und im Training zu geben. Es ist ganz normal, wenn es mal ein paar Tage oder Wochen nicht läuft. Ich muss dran bleiben und darf nicht aufgeben.
Bist du sehr
ehrgeizig?
Auf jeden Fall, sonst wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. Wenn man keinen Ehrgeiz hat oder es nicht will, klappt es nicht. Man kann nicht
gedrängt werden. Bei den
Wettkämpfen bin ich natürlich besonders ehrgeizig.
Wie bereitest du dich auf die Wettkämpfe vor?
Im Training mache ich meine Übungen und Konditionstraining, damit ich die Übungen auch körperlich schaffe. Die Übungen trainiere ich so oft, bis
sich die Stabilität
verbessert und ich kaum noch Fehler mache.
Bist du nervös vor einem Wettkampf?
Ja, auf jeden Fall. Ich höre dann auf zu reden. Sonst rede ich eigentlich sehr viel, aber vor dem Wettkampf nicht. Wenn wir zur Halle fahren, höre ich Musik, um mich zu beruhigen.
Mein Glücksbringer ist ein kleiner Kuschelbär, den mir meine Freundin geschenkt hat. Den habe ich immer dabei.
Und hat er dir auch schon richtig Glück gebracht?
Ja, zum Beispiel letztes Jahr bei der Weltmeisterschaft in Tokio. Unsere Mannschaft hat die Olympiaqualifikation geschafft. Und im
Merhkampffinale durfte ich unter den besten vierundzwanzig Turnerinnen der Welt starten und bin Zehnte geworden. Das war mein bisher größter Erfolg. Ich war ziemlich stolz auf mich.
Was erhoffst du dir von Olympia?
Zuerst möchte ich dort hinkommen, das wäre schon ein
Riesenereignis. Das ist in diesem Lebensabschnitt mein größter Traum. Und ich hoffe, dass ich dann auch turnen darf und nicht nur
Ersatzturnerin bin. Ich weiß noch, wie es bei der WM in Tokio war: Die Arena war voll, alle haben
gejubelt, das war ein schönes Gefühl. Dieses Feeling hat mich zusätzlich
angespornt.
Bist du denn bei dir zuhause schon ein kleiner Star?
Das will ich eigentlich gar nicht sein. Gut, dass mich in der Stadt viele Leute gar nicht erkennen, weil ich offene Haare und eine Brille trage. Aus der Zeitung kennen die mich natürlich nur mit streng nach hinten gebundenen Haaren und Kontaktlinsen. In der Schule
tuscheln die jüngeren Schüler aber manchmal, wenn ich an ihnen vorbeilaufe.
Und wie sieht’s mit Fanpost aus?
Ich bekomme viele Briefe. Manchmal ist auch Liebespost dabei. Die schreiben, dass sie mich mögen und ich toll turne.
Und wer ist dein eigenes sportliches Vorbild?
Ich bewundere Oksana Chusovitina. Sie ist 37 und turnt immer noch bei uns im
Kader. Wenn sie jetzt die Olympischen Spiele schafft, ist sie zum sechsten Mal dabei. Dass muss man erst einmal hinbekommen, sich jedes Mal wieder zu motivieren und nicht aufzugeben. Ich finde es toll, wie sie es schafft, so lange beim Sport zu sein.
Möchtest du auch so lange turnen?
Nein, um Gottes willen. Ich weiß eigentlich gar nicht so genau, was ich später werden will. Am besten erst einmal Olympiasiegerin. Und dann Abiturientin (lacht).
Nachtrag: Am Wochenende 30. Juni/1. Juli 2012 hat sich Nadine Jarosch für die Olympischen Spiele in London qualifiziert.