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Wissen und Umwelt

Beete statt Beton – Der Trend zum Urban Gardening

Gärtnern im Ermekeilgarten in Bonn
© Käthe Jowanowitsch

Himbeeren frisch vom Strauch in den Mund, Kartoffeln mit den eigenen Händen aus der Erde gegraben: Dazu braucht man keinen Bauernhof auf dem Land, nicht einmal einen eigenen Garten. „Urban Gardening“ heißt der Trend, der das Gärtnern in die Stadt bringt.

Die 29-jährige Sofie Sambo genießt es, abends nach einem Arbeitstag im Büro im Ermekeilgarten in Bonn die Natur zu erleben © Käthe Jowanowitsch

Es ist Spätsommer und damit Erntezeit im Ermekeilgarten. Mitten in Bonn auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne, umgeben von roten Steinmauern, stehen Holzkisten mit Tomaten- und Kürbispflanzen. In der Spätsommersonne riecht es nach Basilikum, Petersilie und Minze. An einer Wand stapeln sich alte, selbst gebaute Kisten. In dieser Saison werden sie nicht mehr gebraucht, sie warten nun auf ihren Einsatz im kommenden Frühjahr. Die Kaserne wurde zuletzt von der Bundeswehr genutzt. Seit 2014 wachsen auf dem Gelände Obst und Gemüse. „Der Ermekeilgarten ist ein Gemeinschaftsprojekt“, sagt Sofie Sambo, die seit fast zwei Jahren dabei ist. „Bei uns kann jeder mitmachen, der Spaß an Urban Gardening hat.“

Sofie Sambo über ihre Erfahrungen mit dem Urban-Gardening-Projekt

Was gefällt Ihnen am Urban Gardening?

 

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

 

Was macht das Urban Gardening für Menschen in Ihrem Alter attraktiv?

 

Von der Brachfläche zum blühenden Paradies

Urban Gardening – so nennt sich die Bewegung, die seit einigen Jahren dafür sorgt, dass in den Städten wieder gegärtnert wird. Nicht in gepflegten Gärten privater Häuser, sondern in grauen Hinterhöfen, auf unbebauten Grundstücken, stillgelegten Eisenbahnstrecken oder heruntergekommenen Freiflächen.

Die Anfänge des Urban Gardening reichen zurück in die 1970er-Jahre. Einer der Vorreiter war die amerikanische Stadt Detroit. Sie war früher das Zentrum der US-Autoindustrie, die Zehntausende von Menschen beschäftigte. Mit der Krise der Autoindustrie verloren viele ihren Job. Fabrikhallen wurden geschlossen, Arbeitslose zogen fort, ganze Wohnblöcke standen leer. Detroit drohte zu veröden. Damals begannen engagierte Bewohner, auf Brachland Beete anzulegen. Sie säuberten verschmutzte Grundstücke, pflanzten Obst und Gemüse an und halfen der Stadt, sich neu zu erfinden. Bald folgten andere Metropolen dem Beispiel.

Der Umwelt zuliebe

Mitte der 1990er-Jahre erreichte die Bewegung Deutschland. Damals interessierten sich immer mehr Menschen für Umweltschutz und Ökologie – aufgeschreckt von Katastrophen wie dem Reaktorunglück in Tschernobyl oder Berichten über Luftverschmutzung und Erderwärmung. Mit Urban Gardening wollten sie Verantwortung übernehmen und die Natur zurück in die Stadt holen, aus der sie Stück für Stück verdrängt worden war.

Jahrelang waren vor allem junge Leute auf der Suche nach besseren Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten vom Land in die Ballungszentren gezogen. Neue Bürohäuser, Fabriken und Wohnviertel entstanden. Mit der Verstädterung wuchs aber auch die Sehnsucht nach der Natur, nach einem Raum für Erholung und Ruhe. Der Trend hält bis heute an. Mittlerweile zählt die „Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis“, die Urban Gardening erforscht und fördert, deutschlandweit knapp 600 Gemeinschaftsgärten. 

Umweltbewusstsein und gutes Leben

Die Motive der Stadtgärtnerinnen und -gärtner sind so verschieden wie ihre Projekte. Für die einen steht die Lust am Selbermachen im Vordergrund: Kisten bauen, säen, gießen und ernten. Die Erde unter den Händen spüren und sich über den Geschmack frischer Tomaten freuen. Dabei steigt die Wertschätzung für regionale und saisonale Produkte. Denn wer Erdbeeren wachsen und heranreifen sieht, wird nicht mehr zu jeder Jahreszeit nach ihnen im Supermarkt suchen.

Gemeinschaftsgärten sind also auch Lernorte. Sie wecken ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Solidarität. Denn wer selber pflanzt und erntet, konsumiert kritischer. Gärtner wissen aus Erfahrung, wie viel Arbeit und Freude die Aufzucht von Obst und Gemüse macht. Das hilft zu verstehen, dass die Produktion von billiger Massenware Ressourcen verschwendet, die Umwelt belastet und Menschen ausbeutet.

 
Die 21-jährige Juilette Dupont aus Frankreich ist für ein Praktikum in Bonn und hofft, im Ermekeilgarten neue Leute kennenzulernen © Käthe Jowanowitsch

Andere schätzen den Gemeinschaftsgarten als sozialen Treffpunkt. „Das ist wie ein Dorfplatz mitten in der Stadt“, sagt Sofie Sambo aus dem Ermekeilgarten. „Es gibt Junge und Alte, Familien und Alleinstehende, Gartenexperten und blutige Anfänger. Jeder hilft, wo er kann. Und wir tauschen uns über alle möglichen Themen aus.“ Die 29-Jährige genießt es, abends nach einem Arbeitstag im Büro die Natur zu erleben. „Und das ohne lange Anfahrtswege und ohne großen Aufwand.“ Auch die 21-jährige Juliette Dupont aus Frankreich, die in Bonn gerade ein Praktikum macht, freut sich, dass man im Ermekeilgarten einfach vorbeikommen und mitmachen kann. Das ist anders in den Kleingartenanlagen, die es in Deutschland schon sehr viel länger gibt. Sie sind als Vereine organisiert, verlangen Mitgliedsbeiträge und führen lange Wartelisten, weil es mehr Interessenten als freie Plätze gibt.

Juilette Dupont über ihre Erfahrungen mit dem Urban-Gardening-Projekt

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, im Ermekeilgarten mitzumachen?

 

Kooperation statt Konfrontation

„Man muss nicht politisch motiviert sein, um Spaß am Urban Gardening zu haben“, sagt auch Zoe Heuschkel. Sie ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Forschungsprojekts an der Hochschule Osnabrück. „Aber viele Aktive fühlen sich verantwortlich für unseren Lebensraum, wollen ganz praktisch zum Umweltschutz beitragen und neue Formen des Miteinanders erproben.“ Ziele, die vielen Menschen in Deutschland wichtig sind. Das zeigt eine Studie des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamtes zum Umweltbewusstsein aus dem Jahr 2014.

Mittlerweile wird Urban Gardeining an vielen Orten auch von Stadtverwaltungen und Politikern unterstützt. Sie haben längst erkannt, dass alle davon profitieren. Nicht nur, weil es die Stadt attraktiver macht, sondern auch, weil es das Klima verbessert. 

 
Zoe Heuschkel beschäftigt sich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Forschungsprojekts an der Hochschule Osnabrück mit Urban Gardening | © Käthe Jowanowitsch © Käthe Jowanowitsch

Zu Konflikten kommt es dann, wenn Stadtplaner und Investoren freie Flächen bebauen statt begrünen wollen – zum Beispiel um in den dicht besiedelten Städten weiteren Wohnraum zu schaffen oder einfach, um Geld damit zu verdienen. Oft wird den Gärtnern Brachland nur für begrenzte Zeit zur Verfügung gestellt. Mit ihren mobilen Kisten und Kübeln haben sie sich genau darauf eingestellt. Dennoch fällt es nicht jedem leicht, mit Gurken und Tomaten immer wieder den Standort zu wechseln. Besonders bitter wird es dann, wenn ein Urban-Gardening-Projekt einen vernachlässigten Stadtteil so erfolgreich verschönert, dass Geschäftsleute wieder Gefallen daran finden und die Stadtgärtner von ihrem Grundstück verdrängen. 

Im Bonner Ermekeilgarten wird es wohl nicht so weit kommen. „Wir sind flexibel und hoffen, auf jeden Fall weitermachen zu können", sagt Sofie Sambo. Saatgut für das kommende Jahr liegt schon bereit. Zunächst aber werden die Früchte der diesjährigen Ernte genossen.

Zoe Heuschkel über den Trend des Urban Gardenings
Welche Wirkung hat das Urban Gardening auf die Menschen?

 

Seit wann wird auf öffentlichen Plätzen gegärtnert?

 

Gibt es auch negative Aspekte des Urban Gardening?

 

der Strauch, die Sträucher: große Pflanze
das Gärtnern: im Garten arbeiten (als Hobby)
die Erntezeit, die Erntezeiten: hier: die Zeit im Jahr, in der man Obst und Gemüse aus dem Garten mit nach Hause nimmt, um es zu essen
die Kaserne, die Kasernen: ein Gebäude für Truppen der Armee
die Bewegung, die Bewegungen: eine große Anzahl von Menschen, die alle das gleiche Ziel haben
der Hinterhof, die Hinterhöfe: ein meist dunkler Hof hinter einem Mietshaus, der von anderen hohen Häusern umgeben ist
etwas stilllegen: hier: schließen, abschalten
heruntergekommen: hier: alt und dreckig; niemand kümmert sich darum
der Vorreiter, die Vorreiter: eine Person (oder hier eine Stadt), die etwas Neues zuerst tut
veröden: hier: die Bevölkerung verlieren, immer mehr Menschen ziehen weg
das Brachland: leeres Land; Land, auf dem keine Häuser stehen
das Beet, die Beete: ein kleines, abgegrenztes Stück Land in einem Garten mit Pflanzen darauf
aufschrecken: erschrocken sein
das Reaktorunglück in Tschernobyl: 1986 ist in der Stadt Tschernobyl in der Ukraine ein Teil des Atom-Kraftwerks explodiert. Radioaktive Strahlung gelangte durch den Regen auch bis nach Deutschland.
Stück für Stück: allmählich, nach und nach
etwas oder jemanden verdrängen: beiseite schieben; hier: Es wurde immer mehr gebaut, und die Natur wurde immer weniger.
das Ballungszentrum, die Ballungszentren: ein Gebiet mit besonders vielen Einwohnern pro Quadratkilometer (km²)
die Verstädterung, die Verstädterungen: hier: immer mehr Menschen leben in Städten und die Städte breiten sich immer weiter aus
säen: die kleinen runden Körner (Samen), aus denen Pflanzen wachsen, in die Erde bringen
die Wertschätzung, die Wertschätzungen: hier: die Anerkennung, etwas wichtig finden
heranreifen: hier: die Entwicklung von der kleinen, grünen Erdbeere bis zur großen, roten Erdbeere
die Nachhaltigkeit: Ein Konzept, das besagt, dass man Ressourcen nur so nutzen sollte, dass sie sich wieder neu bilden oder nachwachsen können. Das heißt auch, darauf zu achten, dass weniger Schäden für die Umwelt und die Arbeiterinnen und Arbeiter entstehen.
die Solidarität: hier: die Gemeinschaft, das gute Miteinander
die Aufzucht, die Aufzuchten: hier: erleben, wie die Pflanzen mit dem Obst und Gemüse wachsen
die Massenware, die Massenwaren: in großer Menge produzierte Ware
jemanden ausbeuten: jemanden ausnutzen und/oder schlecht behandeln
der blutige Anfänger, die blutigen Anfänger: eine Person, die gerade erst mit etwas anfängt (hier: das Gärtnern) und noch nicht viel davon weiß 
die Kleingartenanlage, die Kleingartenanlagen: Ein Stück Land mit vielen kleinen eigenständigen Gärten, die voneinander abgegrenzt sind. Die Gärten werden von Vereinen verwaltet und an dessen Mitglieder gegen eine bestimmte Gebühr auf Zeit vermietet.
begrünen: mit Grün, also mit Pflanzen, Bäumen oder Gras, versehen
dicht besiedelt: viele Einwohner pro Quadratkilometer (km²)
bitter: hier: traurig, unangenehm
etwas vernachlässigen: sich um etwas nicht kümmern
Gefallen an etwas finden: etwas gut/schön finden
das Saatgut: die kleinen runden Körner, aus denen Pflanzen wachsen