Das Ahrtal in Rheinland-Pfalz ist ein beliebtes Urlaubsgebiet und bekannt für seine Wander- und Radwege durch Weinberge oder entlang des Flusses Ahr. Im Juli 2021 zerstörte eine Flutwelle die gesamte Region und somit auch die touristische Infrastruktur. Wie ist die Lage in der Region und im Tourismus ein Jahr danach, wie geht es den Menschen dort?
„Wir hatten vorher noch nie Hochwasser“, sagt Kim aus Bad Neuenahr. Das Wasser kam in der Nacht. „Wir haben gehört, wie es in den Keller schoss . Es war wie ein Wasserfall. Richtig laut.“ Kim, ihre Schwester Saskia und die Eltern haben die Nacht im Obergeschoss ihres Hauses verbracht. Das haben auch der 16-jährige Jannis und seine Familie getan. „Erst morgens, als das Wasser gesunken war, konnten wir wieder raus“, sagt Jannis.
Die drei Jugendlichen leben in der kleinen Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler am Flüsschen Ahr, einem idyllischen Ort – bis zu jener Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021. Da hatte Starkregen zu Überschwemmungen geführt und eine Flutwelle raste durchs Tal. Über einhundert Menschen starben, rund 750 wurden verletzt. Die Welle riss Autos und sogar Häuser mit sich , zerstörte Brücken, Straßen und mehrere Dörfer.
Eine Ursache der Flut ist der Klimawandel – darüber sind sich Fachleute einig. Sie sagen voraus, dass extreme Regenfälle und Überschwemmungen in Westeuropa zunehmen werden.
Alltag nach der Flut – drei Jugendliche berichten
Wie tausende andere Menschen im Tal mussten auch Kim, Saskia, Jannis und ihre Familien nach der Flutnacht aus ihren Häusern ausziehen. Sie brauchten eine temporäre Bleibe. „Wir hatten großes Glück, dass wir eine Wohnung in der Nähe gefunden haben“, sagt Jannis. „Viele Leute mussten weiter weg, weil es hier keine Wohnungen mehr gab.“ Auch die 16-jährige Kim, ihre 12-jährige Schwester Saskia und ihre Eltern wohnten einige Monate in einer Ferienwohnung im Ort.
Jannis, wie hatte sich dein Leben nach der Flut verändert?
Was hat dir in der schweren Zeit am meisten geholfen?
Bekommst du etwas von den Touristen mit? Sind sie schon zurück?
Die Flut hat auch den Schulalltag der drei Jugendlichen auf den Kopf gestellt . Die drei besuchen dasselbe Gymnasium, das direkt am Fluss liegt. Da das komplette Erdgeschoss zerstört war, mussten alle Schülerinnen und Schüler einige Monate in eine andere Schule im Ort gehen, die auf einem Hügel liegt und daher von der Flut verschont geblieben war. Unterricht hatten sie in dieser Zeit am Nachmittag, wenn der Unterricht für die Schülerinnen und Schüler dieser Schule zu Ende war. Ende November konnten sie in ihre eigene Schule zurückkehren. Zwar war das Erdgeschoss noch gesperrt, doch im ersten Stock und in den Containern, die auf dem Schulhof aufgestellt worden waren, konnte wieder Unterricht stattfinden. „Nachmittags fanden dann auch wieder AGs statt“, sagt Kim, die inzwischen auch wieder zu Hause wohnt.
Kim, was hat dir in der schweren Zeit am meisten geholfen?
Wie ist die Situation in der Stadt jetzt, ein Jahr nach der Flut?
Bekommst du etwas von den Touristen mit? Sind sie schon zurück?
Saskia, wie hatte sich dein Alltag nach der Flut verändert?
Wie sieht es ein Jahr nach der Flut in eurer Stadt aus?
Und ist dein Alltag mittlerweile wieder normal?
Beliebte Tourismusregion Ahrtal
Bis zur Flut war das Tal vor allem als Urlaubsregion bekannt, für die Weinberge und Weingüter , für die schönen Wander- und Radwege. Und für die Ahr, die ein kleiner Nebenarm des Rheins ist und die sich rund 80 Kilometer malerisch durch die sanft geschwungenen Weinberge schlängelt . Die Urlauber kommen aus ganz Deutschland, aber auch aus Belgien und den Niederlanden. Sie können auf Campingplätzen übernachten, in Jugendherbergen, Ferienwohnungen oder Hotels. Die Auswahl im Ahrtal ist groß.
Nach der Flut war alles anders. Viele Unterkünfte waren zerstört oder wegen kaputter Straßen nicht zu erreichen. Das Hochwasser hat mehr als 80 Prozent der Hotels und Restaurants in der Region beschädigt. Viele müssen komplett renoviert oder neu gebaut werden. Eines dieser Hotels ist die „Villa Aurora“, ein Vier-Sterne-Hotel in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Da es direkt am Fluss liegt, stand das Wasser selbst im Hochparterre . „Die ganze Infrastruktur des Hotels ist zerstört“, sagt Eigentümer Christian Lindner.
Herr Lindner, was hat die Flut in Ihrem Hotel zerstört?
Wieder da – die Jugendherberge
Die Jugendherberge in Bad Neuenahr-Ahrweiler war eine der ersten Unterkünfte, die nach starken Wasserschäden wieder geöffnet hat. Die Flut hatte das komplette Erdgeschoss samt Einrichtung zerstört: Gästezimmer, Bistro, Büroräume, Foyer und Rezeption. Wie überall im Tal mussten zuerst Berge von angeschwemmten Trümmern weggeräumt werden. „Wir hatten sehr viel Unterstützung von freiwilligen Helfern aus der Region und auch von weiter weg“, sagt Betriebsleiter Oliver Piel. Sogar ganze Schulklassen hätten geholfen. „Allein hätten wir es nicht geschafft, so schnell wieder auf die Beine zu kommen .“ Vier Monate nach der Flut öffneten sich die Türen wieder für die Gäste. Unter der Woche kommen in der Regel Schulklassen auf Klassenfahrt, an den Wochenenden Familien, Vereine und Gruppen. Doch nicht nur Piel und sein Team hatten viel Unterstützung. Die Hilfsbereitschaft nach der Flut war überwältigend . Aus dem ganzen Land kamen Menschen, um beim Aufräumen zu helfen.
Ideen für nachhaltigen Tourismus
Mit der Flut ist der Tourismus in der Region komplett zusammengebrochen. Nicht nur viele Unterkünfte und Restaurants waren zerstört, sondern auch Straßen, Brücken und Bahngleise . Ein großer Teil der Infrastruktur muss neu gebaut werden.
„Es gibt verschiedene Gruppen, die diskutieren, wie es mit dem Tourismus in der Region weitergehen kann“, sagt Christian Lindner, der ehrenamtlicher Vorsitzender des Vereins Ahrtal-Tourismus ist. „Es gibt auch Ideen für nachhaltige Konzepte.“ Zum Beispiel könnte ein Teil der zerstörten Bahnstrecke durch eine Seilbahn ersetzt werden, so Lindner. „Eine Seilbahn ist nicht nur nachhaltig, sondern wäre auch eine neue touristische Attraktion.“ Konkrete Pläne gebe es aber nicht. „Im Landkreis und in der Landesregierung gibt es keine Ansprechperson dafür“, so Lindner. „Diese Ideen müssten erst einmal ausgearbeitet werden: Sind sie wirklich nachhaltig? Sind sie überhaupt umsetzbar? Das können wir nicht nebenbei im Ehrenamt erledigen.“
Ein paar Ideen für mehr Nachhaltigkeit möchte er beim Hotel-Neubau umsetzen. Die Heizung soll zum Beispiel nicht mehr Öl und Gas verbrennen, sondern mit Fernwärme von einem regionalen Anbieter laufen, der auch erneuerbare Energien nutzt. Außerdem würde Christian Lindner gern eine Solaranlage installieren und damit das Schwimmbad sowie den Wellness-Bereich versorgen. „Das wäre schon sehr viel wert“, sagt er. Ob das alles klappt, sei aber noch unklar. Denn dafür bräuchte er finanzielle Unterstützung von der Regierung.
Was Touristen jetzt schon unternehmen können
Seit dem Frühling sind wieder einige Touristen in der Region. Einige Straßen sind bereits wiederhergestellt, die Bahn fährt teilweise wieder. Einige Hotels und Ferienwohnungen können wieder erreicht werden. „Viele Straßen sind noch nicht befahrbar oder sind große Baustellen“, sagt Christian Lindner. „Vieles ist im Moment provisorisch und wird es in den nächsten Jahren auch bleiben.“
Herr Lindner, was können Touristen im Moment in der Region unternehmen?
Zwar ist der beliebte Radweg noch nicht wiederhergestellt, andere touristische Highlights sind aber intakt, wie der Rotweinwanderweg, der durch die Weinberge führt und von der Flut nicht betroffen war. Auch den Fernwanderweg Ahrsteig können Gäste wieder nutzen. Hinzu kommen Weinverkostungen , kurze geführte Wanderungen und besondere Stadtführungen durch Bad Neuenahr und Ahrweiler, in denen es um den Wiederaufbau der Stadt geht.
Die Schulklassen, die in der Jugendherberge übernachten, besuchen Orte, die gar nicht zerstört waren: die „Römervilla“, ein Museum über die Römerzeit, den Kletterpark oder die Dokumentationsstätte Regierungsbunker, ein ehemaliger Atombunker aus dem Kalten Krieg. Auch die Jugendherberge bietet verschiedene Aktivitäten an. „Unser Betrieb läuft jetzt wieder wie vor der Flut“, sagt Leiter Oliver Piel. Gerade sind fünf Schulklassen da, die Jugendherberge ist ausgebucht .