Die berufsbildenden Schulen in Deutschland haben in den letzten Jahren viel zur Integration von Zugewanderten beigetragen: Tausende Jugendliche aus vielen unterschiedlichen Ländern lernen dort nicht nur Deutsch, sondern werden auch auf Ausbildungen vorbereitet und können verschiedene Schulabschlüsse machen.
Als der junge Syrer Abdelrahman Hesso nach Deutschland kam, war er 18 Jahre alt und sprach weder Deutsch noch hatte er einen Schulabschluss. Wegen des Krieges in seinem Heimatland hatte er die Schule nicht beenden können. Drei Jahre später spricht er Deutsch auf B1-Niveau und wird demnächst eine Ausbildung beginnen. „Am Anfang dachte ich, das packe ich nicht“, sagt er und ist stolz darauf, dass er es dennoch geschafft hat.
Wie fandest du Deutsch am Anfang, Abdelrahman?Deutsch lernen an berufsbildenden Schulen
Abdelrahman ist einer von Tausenden jungen Zugewanderten, die in den letzten Jahren nach Deutschland kamen. Sie alle mussten zuerst Deutsch lernen – eine Sprache, die die meisten bis dahin nicht kannten. Zugewanderte Kinder lernen Deutsch zuerst in besonderen Klassen in der allgemeinbildenden Schule und wechseln danach schnell in den Regelunterricht zu den deutschen Gleichaltrigen. Jugendliche Zugewanderte ab 16 Jahren hingegen gehen oft an eine berufsbildende Schule. Dort lernen sie nicht nur Deutsch, sondern bereiten sich auch auf eine Ausbildung und einen Schulabschluss vor. Abdelrahman Hesso hat ab 2018 das Friedrich-List-Berufskolleg in Bonn besucht, dort Deutsch gelernt und auch seinen Schulabschluss gemacht.
Wie die Jugendlichen an den Berufsschulen stufenweise von rudimentären Deutschkenntnissen bis zu einer Ausbildung oder sogar zum Abitur gelangen, ist in jedem Bundesland anders geregelt. Denn: Bildung ist in Deutschland Ländersache. Was aber an allen berufsbildenden Schulen grundlegend gleich ist: Der Sprachunterricht steht im Mittelpunkt und konzentriert sich von Anfang an auf berufliche Situationen. Das Friedrich-List-Berufskolleg ist also nur ein Beispiel dafür, wie sprachliche Integration an einer Berufsschule aussehen kann.
Fünf internationale Klassen in Bonn
Am Berufskolleg in Bonn gibt es fünf unterschiedliche Klassen für internationale Schülerinnen und Schüler: Wer Deutsch von Anfang an lernen muss, beginnt in der sogenannten Willkommensklasse. Neben Grundkenntnissen in Deutsch wird bereits auch ein wenig Landeskunde vermittelt. „In dieser Klasse ist es außerdem wichtig, erst einmal Vertrauen aufzubauen“, sagt Christoph Scheele. Er leitet die Abteilung Ausbildungsvorbereitung am Berufskolleg. Die Willkommensklassen sind sehr heterogen: Die Jugendlichen kommen aus unterschiedlichen Ländern wie zum Beispiel Syrien, Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Guinea oder Libyen. Einige von ihnen waren in ihren Heimatländern bereits zehn Jahre in der Schule, andere nur drei. Die meisten kämen gern in die Schule, sagt Christoph Scheele. „Die Atmosphäre in den Klassen ist so gut, dass wir für viele ein bisschen wie Familienersatz sind.“
Auf die Willkommensklasse folgen zwei Sprachförderklassen, in denen die Jugendlichen Deutsch auf den Niveaus A1/A2 und A2/B1 lernen. Im Sprachunterricht geht es von Anfang an um Situationen aus dem beruflichen Umfeld. Zum Deutschunterricht kommen schrittweise andere Fächer dazu: Englisch, Mathematik, Wirtschaft, Gesellschaftskunde. Am Ende der zweiten Sprachförderklasse können die Jugendlichen den Hauptschulabschluss der neunten Klasse machen. Das hat Abdelrahman Hesso getan – obwohl er von null an Deutsch gelernt hat. Die deutsche Grammatik sei besonders schwierig gewesen, sagt er, außerdem auch die langen und komplizierten Wörter. Was ihm beim Lernen geholfen habe? Deutsche Filme. Die habe er zu Hause von Beginn an geschaut. „Auch wenn man am Anfang nur wenig versteht, hilft es trotzdem.“ Außerdem höre er oft und gern deutsche Musik. Auch das helfe.
DSD I PRO – ein Test für berufsorientiertes Deutsch
Wie alle Schülerinnen und Schüler der Sprachförderklassen am Berufskolleg in Bonn hat er zum Abschluss der zweiten Förderklasse den Deutschtest DSD I PRO erfolgreich abgelegt und damit das Sprachniveau B1 nachgewiesen. Diese Prüfung legt den Schwerpunkt auf die sprachlichen Fähigkeiten rund um berufliche Schule und Berufsausbildung. Das spiegele sich im Inhalt aber auch in den Sprachhandlungen wider, sagt Dr. Wassilios Klein von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA), die das Sprachdiplom für Schülerinnen und Schüler an beruflichen Schulen vor vier Jahren federführend entwickelt hat. Mittlerweile wird DSD I PRO in den meisten Bundesländern an beruflichen Schulen eingesetzt. „Während sich das allgemeinsprachliche DSD I an eine jüngere Zielgruppe richtet und sich die Themen eher um Familie, Freizeit und Schule drehen, geht es in den Aufgaben des DSD I PRO um verschiedene Berufe, die Berufswahl, die berufliche Zukunft oder Praktika“, sagt Wassilios Klein. Ein Beispiel: Nachdem die Jugendlichen im Prüfungsteil Mündliche Kommunikation ein Gespräch über sich selbst im Stil eines Vorstellungsgesprächs bestritten haben, präsentieren sie im zweiten Prüfungsteil ein berufsbezogenes Thema als Vortrag. Diesen haben sie zu Hause vorbereitet und stellen darin zum Beispiel eine Firma vor oder ihren Wunschberuf oder berichten vom Praktikum in einem Betrieb, berichtet Dr. Klein.
Einen guten Schulabschluss machen
Auch die 18-jährige Maria Santos hat die Prüfung zum DSD I PRO abgelegt. Vor zwei Jahren zog die Brasilianerin zu ihrem Vater, der schon lange in Deutschland lebt. Ihre ersten deutschen Wörter habe sie erst im Flugzeug gelernt, erinnert sie sich. „Ich dachte: Oh Gott, was ist das für eine Sprache? Das kann ich bestimmt nicht lernen.“ Ihre Angst war unbegründet – schon nach einem Jahr bestand sie das DSD I PRO. Danach hat sie am Friedrich-List-Berufskolleg in Bonn die Internationale Berufsfachschulklasse mit besonderer sprachlicher Förderung (IBK) besucht. Diese Klasse ist nach den Förderklassen ein möglicher nächster Schritt für die Jugendlichen.
Neben Deutsch haben sie dort auch Schulfächer wie Biologie, Mathematik, Wirtschaft und Englisch. Zum Abschluss der IBK können die Jugendlichen den Hauptschulabschluss der zehnten Klasse erreichen. Wer möchte, kann danach in eine Regelklasse wechseln, in der auch deutsche Jugendliche den Mittleren Schulabschluss anstreben. Mit dem Hauptschulabschluss in der Tasche beginnt Maria Santos im August beim Deutschen Roten Kreuz in Köln eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Sie freue sich darauf, sagt sie. Erste Erfahrungen in dem Beruf habe sie bereits bei Praktika im Krankenhaus und Altenheim sammeln können.
Ein Vorteil der Berufsschulen: der Kontakt zu den Betrieben
Wer am Berufskolleg in Bonn nach den Sprachförderklassen und der B1-Prüfung nicht mehr nur zur Schule gehen möchte, kann in die sogenannte BQF-Klasse wechseln. BQF steht für „berufliche Qualifizierung“. Diese Jugendlichen absolvieren an drei Tagen in der Woche ein schulisch begleitetes Praktikum in einem Betrieb und besuchen an zwei Tagen die Schule. Die Hälfte der Zeit dort haben sie Deutschunterricht. Das Ziel dieser Klasse ist es, danach eine Ausbildung zu beginnen. „Diesen Weg wählen viele, die schulisch an ihre Grenzen stoßen“, sagt Christoph Scheele vom Berufskolleg und fügt hinzu: „Wenn sie danach mit der dualen Ausbildung beginnen, müssen sie trotzdem wieder zur Berufsschule. Die BQF-Klasse hilft ihnen, dort besser abzuschneiden.“
Abdelrahman Hesso aus Syrien ist einer, der nach der B1-Prüfung die BFQ-Klasse gewählt hat. Das letzte Jahr hat er ein Praktikum in einem Handwerksbetrieb gemacht. Im August wird er dort eine Lehre als Fliesenleger anfangen – und deshalb wieder öfter zur Schule gehen. Nervös sei er deswegen aber nicht, obwohl es schwierige Fächer wie Mathematik geben werde. „Aber das schaffe ich auch noch“, sagt er zuversichtlich. „Ich habe schon so viel geschafft.“