Was tun, wenn der Stuhl wackelt oder der Toaster klemmt? Wegwerfen und neu kaufen? Für die Besucher des Bonner Repair Cafés kommt das nicht in Frage. Einmal im Monat treffen sie sich, um gemeinsam defekte Geräte zu reparieren.
Es ist Samstagvormittag, 11 Uhr. Melanie Dietrich beugt sich über eine alte Nähmaschine, die sie auf einen der Arbeitstische
gehievt hat. „Die gehörte meiner Uroma“, sagt sie. „Eigentlich funktioniert sie ganz gut. Aber manchmal
zickt sie.“ Die 23-Jährige ist heute zum ersten Mal da. Ihre Großmutter hat sie auf die Idee gebracht. Helena Nöth kennt das Repair Café schon seit einiger Zeit. „Ich bin eine typische Selber-Macherin“, erzählt sie, „und kann anderen auch helfen, zum Beispiel beim
Töpfern,
Flicken oder
Nähen. Aber mit Elektrogeräten kenne ich mich nicht aus. Alleine traue ich mich da nicht ran.“
Michael Buchholz über Repair Cafés
Aus Alt mach Neu
Außer dem Rat der Experten gibt es im Haus Müllestumpe auch Spezialwerkzeug, das nicht jeder Hobbybastler daheim hat. Repariert wird so ziemlich alles, was in einem Haushalt kaputt gehen kann: Fahrräder und Fernseher, Lampen und Staubsauger, Computer, DVD-Player und Musikanlagen, aber auch alte Uhren, Bilderrahmen oder der löchrig gewordene Lieblingspullover. Oft ist es nur ein kleines Teilchen, das geölt oder ausgetauscht werden muss, ein defekter Kondensator oder eine kaputte Feder – so wie bei Melanie Dietrichs Nähmaschine oder dem Toaster, den Michael Steffen mitgebracht hat.
Michael Steffen über die Reparatur seines Toasters
Wer will, kann aus alten Produkten auch etwas ganz Neues schaffen. Aus einem
in die Jahre gekommenen Bücherregal wird ein kleiner Beistelltisch für den Garten. Oder der Stoff eines
ausrangierten Kleides findet als
Umhängebeutel eine neue Verwendung. „So entstehen schöne und nützliche Dinge“, erläutert Chris Molner, die „erste Botschafterin“ des Bonner Repair Cafés. Upcycling heißt der Trend.
Internationale Bewegung
Die Repair-Bewegung entstand in den Niederlanden. Im Oktober 2009 eröffnete die Journalistin Martine Postma in Amsterdam das erste Repair Café. Sie wollte nicht nur einen Treffpunkt für Tüftler und Bastler gründen, sondern die Menschen zum Nachdenken über unseren Umgang mit den begrenzten Ressourcen anregen. Ihre Idee fand rasch viele Nachahmer. In Deutschland hat die Bewegung zuerst in den Metropolen Berlin, Köln, München und Hamburg Fuß gefasst. Mittlerweile hat sie auch viele kleinere Städte erreicht. Weltweit soll es nach einer Schätzung der niederländischen „Stiftung Repair Café“ mehr als 400 Einrichtungen geben.
Reparieren macht glücklich
„Selbermachen stärkt unsere
Autonomie“, meint Wolfgang M. Heckl, „reparieren macht glücklich.“1 Der Biophysiker ist Generaldirektor des Deutschen Museums in München und ein begeisterter
Verfechter der „Kultur der Reparatur“. So lautet auch der Titel eines Buches, das er zum Thema geschrieben hat. Ihm ist es wichtig, dass die Menschen ein anderes Verhältnis zu den Gegenständen bekommen, mit denen sie täglich zu tun haben. Wer selbst versucht, einen Defekt zu beheben, begreift, wie die Dinge funktionieren und versteht, „wie alles mit allem zusammenhängt“. Dann, so Heckl, falle es auch leichter, in unserer
schnelllebigen Zeit das Beständige zu schätzen. Wenn immer mehr Verbraucher bei ihrer Kaufentscheidung auf die
Langlebigkeit der Produkte achten, könnten Firmen in Zukunft mit dem Hinweis werben: Dieses Gerät lässt sich leicht reparieren.
„Hip ist dann nicht mehr das neueste Handy, das ich auf dem Schulhof in der Hand halte, sondern dasjenige, das den Sturz auf den Boden überlebt und überhaupt am längsten hält.“
(Zitate aus: Heckl, Wolfgang M. (2013): Kultur der Reparatur. München: Hanser Verlag.)
Bewusster konsumieren
Allerdings hat Langlebigkeit ihren Preis. Sie erfordert sorgfältige Verarbeitung unter Einsatz hochwertiger Materialien. Das kostet Geld. Und sie kann nicht mithalten mit dem Tempo rasch wechselnder Modeerscheinungen. Außerdem könnten Arbeitsplätze verloren gehen, wenn Firmen Güter herstellen, die eine längere Lebenszeit haben. Häufig, so Heckl, werde mit Blick auf das Wirtschaftswachstum argumentiert: „Habe ich mit den vielen Neukäufen vielleicht nicht doch etwas Gutes getan, habe ich nicht die Wirtschaft in Gang gehalten?“ Es gelte sorgfältig abzuwägen zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen. Er selbst ist überzeugt: „Wenn wir weiter nur der Ökonomie eines quantitativen Wachstums folgen, werden wir am Ende alle verlieren.“
Von der Wegwerfgesellschaft zur Kreislaufgesellschaft
Recycling und Reparieren haben in Deutschland eine lange Geschichte. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg blieb vielen Menschen gar keine andere Wahl, als aus Trümmern und Schrott Neues zu schaffen. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wandelte sich das Land in den Sechzigerjahren allmählich zu einer Überflussgesellschaft. Schneller Konsum wurde zum Statussymbol. Die Ex-und-Hopp-Mentalität – kaufen, benutzen, wegwerfen – ließ die Müllberge wachsen. Erst die Öko-Bewegung in den Siebziger- und Achtzigerjahren führte zum Umdenken. Die Politik reagierte, indem sie begann, die Kreislaufwirtschaft zu fördern: Rohstoffe sollen nach ihrer Verwendung nicht entsorgt, sondern wieder in den Produktionsprozess zurückgelangen. Ein wichtiger Schritt war die deutsche Verpackungsverordnung von 1991. Sie enthielt erstmals verbindliche Regeln zur Müllvermeidung und Wiederverwertung.
Eine Alternative, die Spaß macht
Doch trotz zahlreicher neuer Gesetze und internationaler Übereinkünfte wird der Müll nicht weniger, sondern mehr. Im Zeitalter von Smartphones, Notebooks und Spielkonsolen ist vor allem der Elektroschrott ein großes Problem. Weltweit fallen nach Angaben der Vereinten Nationen 50 Millionen Tonnen pro Jahr an. Allein in Deutschland summiert sich der Abfall aus entsorgten Elektro- und Elektronikteilen jährlich auf 1,8 Millionen Tonnen. Es besteht also weiterhin Handlungsbedarf. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) forderte im Frühjahr 2014 auf dem Europäischen Forum für Öko-Innovation in Hannover, die Repair-Bewegung zu stärken. Europa müsse sich aktiv dafür einsetzen, die Reparatur als Alternative zum Wegwerfen und Neukaufen zu etablieren. Repair Cafés seien ein Beispiel dafür, was Europa brauche, um zu einer Kreislaufwirtschaft zu gelangen. Dass das gemeinsame Reparieren außerdem auch noch Spaß macht, darüber sind sich die Besucher des Bonner Repair Cafés einig. Michael Steffen bringt es auf den Punkt: „Es ist ein gutes Gefühl, wenn man ein kaputtes Teil wieder flottgekriegt hat.“