„Nutzen statt besitzen" lautet das Motto einer neuen Bewegung in Deutschland. Dem Trend des Teilens und Tauschens folgen dabei immer mehr Menschen.
Nikolai Wolfert, der selbst „nur noch Lebensmittel“ kauft, hat den Leihladen 2010 gegründet und sagt: „Unser Grundgedanke ist, Dinge gemeinsam zu nutzen. Wer etwas Nützliches übrig hat, kann es bei uns vorbeibringen und dafür ausleihen, was er gerade gebrauchen kann.“ nachhaltiger Konsum ist eines der Schlagwörter der Sharing Economy. Wenn Menschen nicht ständig neue Dinge kaufen, sondern stattdessen teilen und leihen, muss weniger hergestellt werden. Das spart Rohstoffe und Energie, ohne dass die Lebensqualität sinkt. Das sei aber nicht der einzige Vorteil, erklärt Nikolai Wolfert. Die Teil- und Tauschwirtschaft ermögliche auch Menschen mit wenig Geld Zugang zu vielen Produkten, stärke die Gemeinschaft und die Kommunikation untereinander. „Dass sie Soziales und Ökonomisches verbindet, ist eine Super-Stärke der Sharing Economy.“
Der Leihladen bietet eine alternative Form des Konsums. Was ist die Idee dahinter?
Warum passen das Internet und die Sharing Economy gut zusammen?
Stilvoll gegen Verschwendung
Die deutsche Sharing-Szene ist vielfältig. Menschen tauschen Kleidung auf kleiderkreisel.de und kämpfen so „ stilvoll gegen Verschwendung“. Sie bieten über 9flats.de ihre Wohnung zur Mitnutzung an oder finden über couchsurfing.org eine kostenlose Übernachtungsmöglichkeit überall auf der Welt. Mit Hilfe von Bikesharing oder Carsharing- Plattformen besorgen sie sich ein Fahrrad oder ein Auto auf Zeit, um Wege so bequem wie möglich zurückzulegen. Oder sie nutzen Plattformen wie netcycler.de und tauschen Dinge, die sie nicht mehr brauchen, gegen Gegenstände, die sie sich wünschen.
Gemeinschaftliche Konsumformen sind zwar nicht neu, Leihbibliotheken etwa gibt es schon seit mehreren hundert Jahren. Doch die Umständlichkeit des Leihens und Tauschens sorgte bisher dafür, dass alternative Formen des Konsums ein Nischendasein führten. Das hat sich durch das Internet geändert. Websites, Online-Portale und soziale Netzwerke sind das perfekte Instrument, denjenigen, der etwas verleihen oder tauschen möchte, mit dem zusammenzubringen, der genau diese Sache sucht. Nikolai Wolfert: „Das Internet ist ein Riesenhebel, ein Mega-Katalysator, der die Leih- und Tauschwirtschaft aus der Nische holt.“
Philipp Gloeckler sieht das ähnlich. Der Hamburger Startup-Unternehmer hat 2012 die Smartphone-App whyownit.com entwickelt, die Freunde und Nachbarn nach dem Facebook-Prinzip vernetzt und anzeigt, was jeder besitzt. Gloecklers Ziel: Mit Hilfe der Online-Welt das gegenseitige Ausleihen in Schwung bringen – und damit einen Anlass schaffen, Freunde und Nachbarn in der Offline-Welt zu treffen.
Besitz macht nicht glücklich
„Ein Realgefühl, etwas Echtes, das einen erdet“, sucht auch die Berlinerin Nina Tannert. Früher gehörte Shoppen zu den Lieblingsbeschäftigungen der Designerin, auch wenn sie aus Versehen schon mal ein Kleidungsstück doppelt kaufte.
„
Besitztümer anzuhäufen macht nicht glücklich“, sagt sie heute. „Mir geht es um
Reduktion, in der Wohnung, im Kleiderschrank, überall.“ Und sie weiß inzwischen, was glücklich macht: „In den Wald gehen und wandern.“
Es sind postmaterialistische Wertvorstellungen wie diese, die den Trend des Teilens und Tauschens befeuern. Dazu kommt: Für die Generation der ab 1980 Geborenen gehören Mobilität und Flexibilität zu den Grundpfeilern ihrer (Berufs-)Biografie – allzu viel Besitz belastet dabei nur. Die praktische Erfahrung, dass man kein exklusives Eigentum an Dingen haben muss, um ihre Vorteile nutzen zu können, gehört zum Alltag. Beispiel Carsharing: „Wenn ich ein Auto brauche, leihe ich mir eins“, sagt Nina Tannert. „Eines zu besitzen wäre mir viel zu aufwändig: Steuern, Versicherung, Reparaturen, nein danke!“
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Ninas Meinung zum Thema Kleider kaufen
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Jeder Zweite teilt
Doch wie viele Menschen sind es überhaupt, die teilen und tauschen? Harald Heinrichs, Professor für Nachhaltigkeit und Politik an der Leuphana Universität Lüneburg, hat eine (von dem Privatunterkunftvermittler Airbnb finanzierte) Studie über die Sharing Economy in Deutschland veröffentlicht. Das Ergebnis der Repräsentativbefragung: Jeder zweite Deutsche hat bereits Erfahrungen mit alternativen Besitz- und Konsumformen und ist damit Teil der Sharing Economy. „Die jüngere Generation hat die Vorteile einer Ökonomie des Teilens wiederentdeckt und belebt sie dank Internettechnologien neu“, so Harald Heinrichs. „Alternative Besitz- und Konsumformen erweitern die Eigentums-Ökonomie und bisherige Konsumgewohnheiten.“ In Deutschland fehle bisher aber ein strategischer Gesamtentwurf von Politik und Wirtschaft, der die Sharing Economy in ihren verschiedenen Facetten fördere. „Die Shareable-City-Initiativen in Seoul oder New York sind da viel weiter“, sagt der Professor. Allerdings ist bisher noch gar nicht erforscht, ob die Wirtschaft des Teilens und Tauschens in Deutschland tatsächlich zu einer besseren Nutzung von Ressourcen und damit zu mehr Nachhaltigkeit führt. Harald Heinrichs: „Da stehen wir noch ganz am Anfang. Als Faustregel gilt, dass ein Carsharing-Auto acht private PKW ersetzt. Ungeklärt ist aber unter anderem die Frage, ob der Carsharing-Wagen durch häufige Nutzung auch schneller kaputt geht und ersetzt werden muss.“
Kritik an der Sharing Economy
Diese Unklarheiten sind für Kritiker der Sharing Economy nicht das einzige Problem. Die digitalen Leih- und Tauschmodelle beruhen auf einer ganz besonderen Währung: Vertrauen. Was, wenn dieses Vertrauen missbraucht wird, wenn die Bewertungssysteme innerhalb der Communitys nicht ausreichen und das geliehene oder getauschte Produkt kaputt oder verschwunden ist? Die rechtliche Absicherung bleibt in diesem Fall in der Grauzone. „Falsch geteilt ist eben schnell ruiniert“, schreibt Marcus Rohwetter, Wirtschaftsredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Konservative Ökonomen warnen vor der volkswirtschaftlichen Abwärtsspirale, die die Sharing Economy auslösen könne: Weniger Konsum führe zu sinkender Nachfrage, weniger Produkte würden hergestellt, die Arbeitslosigkeit steige, was eine Ausbreitung der Teil- und Tauschwirtschaft und weiter sinkenden Konsum zur Folge habe. Dort, wo die Sharing Economy besonders erfolgreich ist, zum Beispiel bei der Vermittlung von Privatunterkünften, wächst der Druck auf bestehende Geschäftsmodelle. Die Hotel-Lobby in den USA reagierte bereits mit Klagen gegen entsprechende Sharing-Modelle.
Kritik kommt auch aus der Alternativ- und Nachhaltigkeitsszene: kommerzielle Anbieter würden zivilgesellschaftlich organisierte Tauschbörsen verdrängen. Nikolai Wolfert vom „Leihladen“ sieht das gelassen. „Die Idee des Tauschens und Teilens hat einfach Potenzial. Das haben auch die Superreichen erkannt, die inzwischen Sharing-Modelle für Yachten und Jets nutzen.“