An der Deutschen Schule Mailand wird Demokratie gelebt: Sprachscouts unterstützen ihre Mitschülerinnen und Mitschüler nicht nur beim Erlernen der deutschen Sprache, sondern bestimmen auch mit, wie die Sprache im Unterricht vermittelt wird. So leben und erleben sie demokratische Prozesse im Schulalltag.
In zahlreichen Ländern geraten die Demokratie und ihre grundlegenden Werte zunehmend unter Druck. In dieser Zeit ist es wichtiger denn je, dass Jugendliche in der Schule nicht nur lernen, was Demokratie bedeutet, sondern sie auch selbst erleben und leben. Indem sie ihren Lernprozess und den Schulalltag mitgestalten, erfahren sie demokratische Prozesse hautnah und entwickeln Fähigkeiten, um später selbstbewusste und verantwortungsvolle Bürgerinnen und Bürger zu werden. Auf diese Erfahrung legt die Deutsche Schule Mailand (DSM) besonders viel Wert. Deshalb bietet sie ihren Schülerinnen und Schülern verschiedene Möglichkeiten, das Lernen mitzugestalten.
Demokratische Teilhabe als Leitbild der Schule
Wie an deutschen Schulen üblich gibt es an der DSM Klassensprecherinnen und -sprecher. Sie vertreten die Interessen ihrer Klasse gegenüber den Lehrkräften und der Schulleitung. Außerdem vermitteln sie bei Konflikten und bringen die Anliegen ihrer Klasse in die Schülervertretung ein. Darüber hinaus wählen sie die Mitglieder der Schülervertretung. Doch an der DSM gibt es noch weitere Wege, wie sich Schülerinnen und Schüler aktiv einbringen können, zum Beispiel als sogenannte „Digiscouts“. Ursprünglich haben sie die Lehrkräfte bei Fragen zur digitalen Infrastruktur unterstützt. Heute kümmern sie sich zusätzlich darum, dass die digitale Netiquette in ihrer Lerngruppe eingehalten wird und die Kommunikation in den sozialen Medien respektvoll bleibt. Gleichzeitig haben sie auch den Grundstein für ein weiteres Klassenamt gelegt: die Sprachscouts.
„Uns ist aufgefallen, dass Schülerinnen und Schüler im Sprachlernprozess zu wenig mitgestalten können“, sagt die stellvertretende Schulleiterin Maria Benning. „Gleichzeitig gibt es aber in jeder Klasse einige, die die deutsche Sprache sehr mögen und die sich bestimmt gern einbringen würden.“ Gemeinsam mit diesen engagierten jungen Leuten überlegte die Schulleitung, wie sie den Prozess des Deutschlernens schülerinnen- und schülerorientiert verbessern können. So entstand die Idee der Sprachscouts. Das neue Klassenamt wurde zum Schuljahr 2023/24 probeweise eingeführt. Drei Monate später wurde in einer schulöffentlichen Debatte mit Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften in der Aula darüber gestritten und abgestimmt, ob das Klassenamt bleiben oder wieder abgeschafft werden soll. Es fiel eine klare Entscheidung: Ja, es soll bleiben!
Die meisten Schülerinnen und Schüler an der DSM lernen Deutsch als Fremdsprache. Gerade der deutschsprachige Fachunterricht ist für viele eine Herausforderung. Jetzt helfen die Sprachscouts. Sie achten zum Beispiel auf typische Fehler und greifen sie auf, sie helfen bei Problemen mit den Artikeln und erklären Fachwörter. Oft besprechen sie vor dem Unterricht mit der Lehrkraft, wie ein schwieriger Text vorentlastet werden kann oder welche Vokabeln zuerst eingeführt werden müssen.
Das Deutschlernen selbstbewusst mitgestalten
Clara Stolz ist 14 Jahre alt und besucht die zehnte Klasse. Sie ist eine von zwei Sprachscouts in ihrer Klasse. Meistens erklärt sie Wörter, die nicht verstanden werden. „In der zehnten Klasse fehlen aber gar nicht so viele Wörter“, sagt Clara, die gern Sprachscout ist. „Ich bin deutsche Muttersprachlerin und kenne ja die meisten Wörter.“ Muss eines erklärt werden, gibt sie es samt einer Erklärung in ein digitales Glossar ein, das alle Schülerinnen und Schüler einsehen können. „Schwierig wird es manchmal, wenn jemand die italienische Übersetzung braucht und ich sie nicht kenne“, sagt sie. „Dann übernehmen andere oder der zweite Sprachscout. Er ist italienischer Muttersprachler und kann ziemlich gut Deutsch.“
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Clara Stolz | © privat
Warum wolltest du Sprachscout sein?
Wenn im Unterricht ein unbekanntes Wort auftaucht, wie geht ihr vor?
Helfen die Sprachscouts neben den Worterklärungen auch noch bei anderen Dingen?
Die Sprachscouts müssen im Unterricht nicht nur aufmerksam verfolgen, welche Probleme im Sprachlernprozess auftauchen, sie benötigen auch eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. „Nicht alle Schülerinnen und Schüler trauen sich, mit der Lehrkraft auf Augenhöhe über den Unterricht zu sprechen“, sagt Maria Benning. Eine wichtige Aufgabe der Sprachscouts ist nämlich auch, darauf zu achten, dass die Lehrkräfte verständlich sprechen, neue Vokabeln erklären und Arbeitsaufträge an die Tafel oder auf das Smartboard schreiben. So verbessern sie ihr eigenes Sprachverständnis und üben sich darüber hinaus in Verhandlungsgeschick.
Spracharbeit braucht Zeit und Raum
Da viele Schülerinnen und Schüler der DSM Deutsch nicht als Muttersprache haben, spielt die Sprachbildung durchgängig eine zentrale Rolle. „Durch die Sprachscouts müssen wir Lehrkräfte nicht die ganze Zeit Spracharbeit leisten“, sagt Deutsch- und Geschichtslehrer Sven Surup. „Sie unterstützen uns und machen unsere Arbeit einfacher.“ Allerdings müssten die Lehrkräfte auch bereit sein, Teile ihrer Unterrichtszeit zu investieren, sagt er. „Man kann zum Beispiel am Anfang und am Ende jeder Unterrichtsstunde eine Reflexionsphase machen, wo direkt darüber gesprochen wird, welche sprachlichen Probleme aufgetaucht sind, wo wir einen Schritt nach vorne gemacht haben oder wo wir noch weiterarbeiten müssen.“

Sven Surup | © privat
Was ist in Ihrem Unterricht ein ganz konkreter Fall für die Sprachscouts?
Das bedeutet also, dass die Sprachscouts sehr gut sein müssen, um überhaupt zu merken, wo Fehler auftauchen?
Maria Benning findet diese Reflexionsphasen essenziell für die Arbeit der Sprachscouts. „Zum Teil müssen sich Lehrkräfte noch daran gewöhnen, dass Schülerinnen und Schüler jetzt im Unterricht rechtebewusst mitsprechen und dass das etwas Zeit beansprucht“, sagt sie. Benning sieht die Arbeit der Sprachscouts auch als wichtigen Beitrag zu einer offenen Fehlerkultur. „Die Fehler werden nicht als Defizite aufgefasst, sondern als Anlässe zur Weiterentwicklung“, sagt sie. Dass die Schülerinnen und Schüler sich mit ihren Problemen als Lernende gesehen fühlen, sei ein weiterer positiver Effekt der Arbeit der Sprachscouts. „Dass die Jugendlichen lernen und erleben, wie sie ihre demokratischen Rechte wahrnehmen können, ist sehr wichtig für den Fortbestand der Demokratie.“