Eine internationale Studie zu digitalen Kompetenzen bescheinigt deutschen Jugendlichen nur durchschnittliche Fähigkeiten. Die Regierung will Schulen besser ausstatten und Lehrpläne anpassen. Doch genügt das?
In einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft sollten Schulen Heranwachsenden einen kompetenten und kritischen Umgang mit neuen Technologien vermitteln. So jedenfalls steht es in der Einleitung zur Studie „International Computer and Information Literacy Study (ICILS)“, die im Herbst 2014 veröffentlicht wurde. In Deutschland hat sie seither einige Debatten ausgelöst. Denn bislang hat das deutsche Bildungssystem wenig zu den von der Studie definierten Bildungszielen beigetragen. ICILS vergleicht computer- und informationsbezogene Kompetenzen zwölf- und dreizehnjähriger Schülerinnen und Schüler in 21 Bildungssystemen weltweit. Gemeint sind Fähigkeiten, die es erlauben, „Computer und neue Technologien zum Recherchieren, Gestalten und Kommunizieren von Informationen zu nutzen und diese zu bewerten, um am Leben im häuslichen Umfeld, in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft erfolgreich teilzuhaben.
Große Skepsis der Lehrkräfte
In Deutschland, so das Ergebnis der Studie, sind digitale Kompetenzen in dieser Form bei fast 30 Prozent der Heranwachsenden nicht vorhanden. „Das sind Schülerinnen und Schüler, die im kompetenten Umgang mit neuen Technologien und digitalen Informationen so minimale oder rudimentäre Kenntnisse haben, dass man davon ausgehen muss, dass sie in Zukunft große Probleme bekommen werden“, sagt die Schulforscherin Birgit Eickelmann von der Universität Paderborn. Zusammen mit Wilfried Bos, Professor am Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund, leitete sie die ICILS-Studie. Für Eickelmann ist die Situation durchaus vergleichbar mit den Ergebnissen der ersten internationalen Schulleistungserhebung PISA im Dezember 2001. Damals wurden vielen deutschen Schülerinnen und Schülern unterdurchschnittliche Kenntnisse im Bereich Mathematik bescheinigt. „Das waren fast 25 Prozent. Bei den digitalen Kompetenzen liegen wir bei 30 Prozent. Die Lage ist also eigentlich noch dramatischer.“
Warum ist das so? Auch hierzu bietet ICILS Hinweise. Die Mehrzahl der Schulen in Deutschland sei zurzeit nicht in der Lage, Schülerinnen und Schüler im Bereich digitaler Bildung zu unterstützen. Das liege zum einen an der im internationalen Vergleich ungenügenden Ausstattung der Schulen: Stabiles Breitbandinternet ist selten, ebenso wie technische Unterstützung vor Ort. Hinzu kommt die große Skepsis der Lehrkräfte gegenüber neuen, digitalen Lernkonzepten. „Es herrscht in Deutschland bislang kaum eine Vorstellung, wie man neue Technologien sinnvoll im Unterricht einsetzen kann. Stattdessen überwiegen die Ängste der Lehrerinnen und Lehrer, Schüler würden von den eigentlichen Lerninhalten abgelenkt“, so Birgit Eickelmann. „Was die Nutzung neuer Technologien in den Schulen angeht, liegen wir international auf dem letzten Platz.“
Debatte um Chancen und Risiken
Diese Skepsis scheint sich auch aus einer Eigenheit des deutschen Zugangs zum Thema digitale Bildung zu speisen. In kaum einem anderen Land stehen mögliche Risiken digitaler Technologie stärker im öffentlichen Fokus. So schreiben die Autoren Gerald Lembke und Ingo Leipner in ihrem Buch „Die Lüge der Digitalen Bildung“, dass Kinder erst im Alter von zwölf Jahren in der Lage seien, produktiv mit Computern, Laptops und Smartphones umzugehen. Vorher führe der Umgang mit Digitaltechnik zu einer Überreizung.
Die Befürworter verweisen dagegen gerne auf eine ganze Reihe erfolgreicher Projekte, in denen neue Technologien schon heute in Schulen eingesetzt werden zum Beispiel in sogenannten MINT-Exzellenz-Schulen, die besonderen Fokus auf naturwissenschaftliche Fächer legen. „Hier sind wir zum Teil schon sehr gut aufgestellt“, so Birgit Eickelmann. Auch der Bildungsjournalist Christian Füller ist grundsätzlich vom Mehrwert digitalen Lernens überzeugt, insbesondere was das gemeinschaftliche Arbeiten beispielsweise im Rahmen von Schülerblogs angeht. „Der positive, motivierende Effekt ist wirklich verblüffend.“ Genauso wichtig findet er es allerdings, auch Risiken mitzudenken. Zu diesen zählt er neben der Gefahr medialer Zerstreuung auch Mobbing oder digitalen Exhibitionismus. Seine Forderung: „Wir brauchen einen verpflichtenden Netzverkehrsführerschein, bei dem Jugendliche lernen, wie man sich sicher durch das Internet bewegt.“
Fächerübergreifende Schlüsselkompetenz
Im Juli 2015 beschloss der Deutsche Bundestag einen Antrag, um Schulen vermehrt ans Breitbandnetz anzubinden und eine „sichere digitale Lernumgebung“ zu schaffen. Auch möchte man das Themenfeld digitale Bildung stärker im Lehrplan etablieren, beispielsweise in Form eines neuen Pflichtfachs Informatik.
Für die Bildungsforscherin Eickelmann ist der Vorstoß einerseits lobenswert: „Wir müssen unsere Schulen besser ausstatten.“ Andererseits betont sie auch, dass es am Ende um weit mehr gehe, als den Schulen in der Breite Laptops, Tablets und einen schnellen Internetanschluss zur Verfügung zu stellen. „Viel wichtiger ist es noch, die Lehrerinnen und Lehrer in diesem Bereich weiterzubilden, damit sie wissen, wie sie die Geräte sinnvoll einsetzen können.“ Den Ausschlag gebe am Ende nicht nur eine verbesserte technische Ausstattung, sondern die Bereitschaft, den Umgang mit digitalen Informationen als eine fächerübergreifende Schlüsselkompetenz zu entwickeln, so Eickelmann.
Der Bildungsforscher und Publizist Martin Lindner formuliert es so: Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, bei digitalen Medien handle es sich um „Tools“, die man gezielt und zeitlich begrenzt zur Hand nimmt oder nicht. „In Wirklichkeit sind sie längst Teil unserer Lebenswelt. Digitales Lernen bedeutet schlicht Lernen unter Bedingungen einer digitalisierten Gesellschaft. Es ist unvermeidbar.“