Belgische Schülerinnen und Schüler haben in einem Wettbewerb eigene Werke zu Kafkas Erzählung „Gibs auf“ geschaffen.
Anlässlich des Kafka-Jahres 2024 haben sich Schülerinnen und Schüler aus Belgien im Rahmen eines Kreativwettbewerbs mit Kafkas Erzählung „Gibs auf“ auseinandergesetzt. Daraus sind Texte und Videos entstanden.
Video von Oona Bikeev
Zeitlos von Merel HaverkampIch sah ihn im Nebel verschwinden. Ich schaute auf die Uhr. Die Uhrzeiger waren stehen geblieben. Ich hörte Vögel kreischen, sie schienen mich zu warnen. Nach einem endlosen Spaziergang fand ich den Bahnhof. In Eile bestieg ich den bemerkenswert langen Zug. Ich war verzweifelt. Ich wusste nicht, ob ich im richtigen Zug war. Ich sah in der Ferne einen Schatten. Ich hoffte, dass es der Schaffner war, und sagte: „Entschuldigung, ist das der Zug nach Berlin?“ Ohne sich umzudrehen, murmelte er: „Gibs auf, gibs auf.“ Ich runzelte die Stirn. Verwirrt schaute ich mich um, um zu sehen, ob jemand etwas bemerkt hatte. Aber das schien niemand zu interessieren. Ihre Gesichter verschwanden langsam, als hätten sie nie wirklich existiert.
Der Kompass der Seelen von Sienà De Baere
Ich befinde mich in einer Stadt, die ich kaum noch verstehe. Habe ich sie jemals selbst verstanden? Ich fühle mich wie ein Wächter in einer seltsamen und absurden Welt, in der sich die Regeln ändern und es keine Logik gibt. Da kommt eine weitere verlorene Seele, eine weitere Person, der ich helfen sollte, aber wie kann ich jemandem helfen, wenn ich selbst verloren bin.
„Entschuldigung, können Sie mir helfen, meinen Weg zu finden?“ Ich konnte mich kaum auf seine Frage konzentrieren, denn alles, was ich sah, war ein Spiegelbild meines alten Ichs in diesem Fremden. Ein verwirrter Mann mit vielen Fragen, aber immer noch der Hoffnung, Antworten zu finden. Es tut weh, wieder an diese Zeiten zu denken. Die Zeiten, als ich selbst noch auf der Suche war, als ich noch die Hoffnung hatte, einen Weg zu finden. Bis ich eines Tages beschloss, dass ich hier an diesem Ort niemals einen Weg finden werde. Ich merkte, dass ich noch nicht geantwortet hatte und antwortete einfach mit: „Von mir willst du den Weg erfahren?“. „Ja“, sagte er, „da ich ihn selbst nicht finden kann".
Ich würde ihm so gerne helfen, aber ich kann es nicht. Ich habe den Weg selbst nicht gefunden. Das ist auch der Grund, warum ich ihm mit „Gib's auf, gib's auf“, geantwortet habe. Denn das ist es, was ich vor so vielen Jahren getan habe: aufgeben. Ich wende mich ab und fange an zu lachen, nicht aus Freude oder Spaß, sondern aus Angst und dem Leid meiner Hilflosigkeit. Denn was kann man anderes tun als lachen, wenn man keine Tränen mehr zu weinen hat.
Originaltext von Franz Kafka
Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, daß es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich mußte mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: „Von mir willst du den Weg erfahren?“ „Ja“, sagte ich, „da ich ihn selbst nicht finden kann.“ „Gibs auf, gibs auf“, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.