Die Moderne dominiert die Architektur, ist aber schlecht für die Menschen. Wir müssen in die Vergangenheit schauen, um aus dieser ungesunden gegenwärtigen Ordnung herauszukommen, meint Paul Ostermann-Haley und hat sich in der US-Hauptstadt Washington, DC, umgeschaut.
Überall, wo wir Menschen gehen, sind wir von moderner Architektur umgeben. Sowohl in Berlin als auch in Washington, DC, sehen wir brutale Beton-Fassaden oder monolithische Glastürme. Im Großen und Ganzen mögen die Menschen aber diese Architektur nicht. Umfragen wie „Bevorzugte Architektur von Amerikanern für Bundesgebäude” oder „Lieblings-Architektur von Amerikanern” zeigen eine klare Bevorzugung für eher traditionelle Architektur im Beaux-Arts oder Neoklassizistischen Stil. Und dieser Trend ist nicht nur in den Vereinigten Staaten sichtbar: In Großbritannien zeigen die Bürgerinnen und Bürger eine klare Abneigung von modernen Wolkenkratzer-Konstruktionen.
Die Wissenschaft zeigt auch, dass die traditionelle Architektur besser für das Wohl der Menschen ist: Eine Studie von 2020 vom Norwegischen Institut der Biowissenschaften zeigt, dass wir uns, wie in der Natur, wesentlich wohler auf Plätzen mit traditioneller Architektur fühlen.
Beispiel für Kontraste: Washington, DC
Trotzdem bauen Architekten aufgrund der Effizienz und der niedrigen Kosten immer wieder in einem modernen Stil. Das muss sich ändern.
Schauen wir uns in Washington, DC, der Hauptstadt der Vereinigten Staaten, um, und werfen wir einen Blick auf die Architektur, mit der wir unseren Staat repräsentieren. Im Allgemeinen gibt es zwei vorherrschende Stile: brutalistisch (rein konkrete Fassaden) und neoklassizistisch (im Stil der Griechen und Römer).
Beispiele sind das neoklassizistische Gebäude der Umweltschutzbehörde EPA und das Gebäude des Ministeriums für Wohnungsbau und Stadtentwicklung HUD. Eine Studie der National Civic Art Foundation fand heraus, dass 81 Prozent der Befragten das neoklassizistische EPA-Gebäude mögen, aber nur 19 Prozent das HUD-Gebäude gut finden. Ich stimme der Mehrheit zu. Auch mir gefällt das EPA-Gebäude besser.
Der neoklassizistische Eingang zum Nationalarchiv (oben) und der brutalistische Eingang zum FBI-Gebäude (unten) haben dieselbe Form und Funktion, wecken jedoch beim Betrachter deutlich unterschiedliche Gefühle. Die Archive werden regelmäßig in der Rangliste „Amerikas Lieblingsgebäude“ aufgeführt, aber das FBI-Gebäude ist unbeliebt und wird bald abgerissen.
Ein Vergleich der Fenster des Executive Bürogebäudes (Second Empire-Stil, nächstes Bild) mit denen des FBI Gebäudes (Bild oben) zeigt deutliche Kontraste.
Warum mögen wir aber die traditionelle Architektur so viel mehr? Es gibt mehrere Gründe. Erstens wurden die Städte und Gebäude, die wir am meisten mögen, in einer Zeit gebaut, als Menschen sich zu Fuß oder zu Pferde bewegt haben. Deswegen mussten Straßen nicht breit sein. Die Städte wurden auf eine Art und Weise gebaut, dass die Einwohner der Stadt immer dem Zentrum nah waren. Wohnungen und Unternehmen waren oft im gleichen Gebäude, und im Zentrum der Stadt war fast immer ein großer Markt, wo die Menschen der Stadt eingekauft und sich miteinander getroffen haben.
Zweitens wurden die Gebäude auf traditionelle Art gebaut: Man musste mit Stein oder Holz bauen und jeder Teil des Gebäudes musste durch Stürze und Posten gestützt werden, und diese Komponenten wurden hübsch dekoriert. Natürlich waren die ästhetischen Bewegungen zu dieser Zeit auch anders. Die Kunst war offensichtlich realistischer und die architektonische Philosophie zu der Zeit war auch anders. Aber die Veränderungen in Kunst und Ästhetik im Laufe der Zeit müssen nicht heißen, dass wir unwirtliche, menschenverachtende Gebäude und Städte bauen müssen.
Die Situation der Architektur heutzutage ist aber nicht hoffnungslos, denn viele Architekten und Stadtplaner verstehen die negativen Aspekte des Modernismus und versuchen, gemütliche Plätze für Menschen zu bauen. Diese Bewegung heißt Neuer Urbanismus. Neue Urbanisten lassen sich inspirieren von architektonischen Bewegungen der Vergangenheit und historischen Stadtlandschaften, die für uns Menschen angenehm und gesund sind. Sie sind eine Hoffnung für Architektur und Urbanismus in der Zukunft. Selbst wir Bürgerinnen und Bürger können uns für eine menschenfreundliche Architektur einsetzen: Laien haben Bauvorhaben mit Petitionen und Protesten mehrmals beeinflusst. Durch Zusammenarbeit zwischen Architektinnen und Architekten, Bürgerinnen und Bürgern können unsere Städte schöner und gesünder werden.